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Putzerlippfische im Korallenfischaquarium sehen viele Aquarianer mit kritischer Zurückhaltung. Dieses unbegründete Vorurteil steht jedoch der Pflege einer naturnahen Riffgemeinschaft im Weg, und zudem bringt es den Aquarianer um faszinierende Verhaltensbeobachtungen. von Prof. Dr. Ellen Thaler

Die Lippfisch-Beiträge im Titelthema der zurückliegenden KORALLE-Ausgabe (78) haben es wieder einmal bestätigt: Die Pflege von Putzerlippfischen im Aquarium bleibt ein aktuelles Thema, das immerzu neu aufgewärmt wird. Ich möchte hier einmal nachhaken und der Sache auf den Grund gehen. Immerhin ist es mir – laut Rückmeldung einiger KORALLE-Leser – auch gelungen, die Gruppen- bzw. Paarhaltung einiger Fische durchzuboxen, besonders wohl für Doktorfische. Wäre ich da nicht so hartnäckig geblieben, würde man immer noch den Pflegevorschlägen von Clupaty oder Klausewitz und De Graaf sowie etlichen – auch „modern denkenden“ – weisen Häuptern folgen und die armen Doktoren nach wie vor in „Einzelhaft“ pflegen.



Bei Putzerlippfischen ist es grundsätzlich anders. Über die Notwendigkeit einer Paarhaltung besteht in Summe wohl kein Zweifel, aber der Zweifel beginnt früher, nämlich mit der Frage bzw. Feststellung: „Putzerlippfische im Riffaquarium? Nein!“ Diese bildschönen, kleinen Lippfische fallen offenbar in eine andere und wie ich glaube viel subtilere Kategorie der Riffaquaristik, in eine fortschrittlichere, sofern man tatsächlich anstrebt, in der Natur, im Riff vorhandene Situationen nachzustellen. Dass das geht, hat man ja auf niedrigerem Niveau oft gezeigt. Das klingt wohl etwas hart und wird (soll!) Anstoß erregen, aber für mich ist z. B. ein farbenbunter, proppenvoller Steingarten vor der Haustür ein gut gelungener, netter Abklatsch einer lebenssprühenden Frühlings-Bergwiese, aber eben auf anderem, nicht vergleichbarem Niveau: Man sollte solche „Kunst“-Werke nicht unbedingt den natürlichen Verhältnissen gleichsetzen wollen.

Zurück zur Natur

Die Riffaquaristik hat sich genau dieses naturnahe, hehre Ziel auf ihr Banner gesetzt! Sie will – jedenfalls nach allen gängigen Slogans, ob sie nun aus dem reinen Herzen oder aus der Werbebranche kommen – die echte Natur ins Firmenlokal oder Ärztevorzimmer oder Bankfoyer oder ins Gaststättenmilieu und natürlich auch ins Wohnzimmer des Hobby-Riffaquarianers bringen. Es juckt mich, einige bruchstückhafte Beispiele aus Werbebotschaften zu zitieren: „Natur pur“; „Meer erleben!“; „reef emotion!“; „Die Welt des guten Wassers“ und vieles mehr. Aber der kleine, nette, bunte Putzerlippfisch straft alle Vorgaben Lügen und bindet uns auf die Nase, dass eben nicht alles im Guten, sondern manches vielmehr im Argen liegt.

Und dennoch bin ich der Ansicht, ja, ich weiß, dass man das ändern kann! Nur muss ich, um dieser Behauptung mehr Gewicht zu verleihen, abtauchen, ins Riff gehen. Ich will ja einen Beleg für Natürlichkeit erbringen, und die fängt eben sprichwörtlich unter Wasser an – leider nicht unter unserem Aquarienwasser. Noch eine Einschränkung: Es würde auch genügen, die vielen Naturbeiträge aus fernen Ozeanen im Fernsehen genau zu verfolgen. Auch dort könnte man die Antwort bekommen, bequem im Lehnstuhl sitzend.

Putzerlippfische, die putzen
Was sehen wir, im Fernsehen ebenso wie im natürlichen Riff, dort sogar ständig und überall und zu jeder Tageszeit: Putzerlippfische, die putzen. Und große, mittlere oder auch kleine Fische, die sich hingebungsvoll und genüsslich putzen lassen, die ihrerseits nach ihren Putzern suchen, sich anbiedern, anbieten und sogar farblich als putzbedürftig deklarieren.

Viele dieser putzlüsternen Fische kennen den Aufenthaltsort ihrer „persönlichen“ Putzer, ihres Putzerpaars genau, schwimmen vielleicht hunderte, jedenfalls viele Male am Tag vorbei und halten inne, wenn sie sehen, dass ein Putzer gerade frei ist. Sie warten dann kurz, zeigen ein bisschen Putzaufforderungsfarbe, schwimmen weiter, wenn keiner kommt.
Meist aber kommt einer, macht eine flüchtige Runde um den Fisch oder schaut auch einmal genauer hin, wenn es sich lohnt – und das war’s, bis zum nächsten Mal. Diese Sekundenbesuche kann man im Riff natürlich registrieren, zählen und verifizieren. Der Putzbetrieb ist also nicht – wie es uns aus menschlicher Sicht sinnvoll erschiene –auf bestimmte Zeiten beschränkt, etwa einen „Morgenputz“ und einen „Abendputz“. Sicher häufen sich zu bestimmten Zeiten die Putzbesuche, aber das scheint mir eher strömungsabhängig zu sein. An Orten mit kräftigem Tidenhub ist die Putzzeit zwangsläufig reglementiert, aber dort, wo nur geringe Unterschiede der Wasserbewegungen zwischen Ebbe und Flut bemerkbar sind, da gibt es kaum Einschränkungen der Putzhäufigkeit. Beispiel: Vor Bird Island, Seychellen, herrscht starker Tidenwechsel, und die Putztätigkeit konzentriert sich auf zwei starke und fünf bis sechs schwächere Zwischen-Putzzeiten. Auf Madoogali, Malediven, erkennt man dagegen kaum Unterschiede.

Natürlich spielt da auch die Jahreszeit eine Rolle, z. B. durch Regen- und Monsunzeit. Man sieht jedenfalls, dass das Wechselspiel Putzer/Putzkunde ein sehr fein abgestimmtes, subtiles Verhaltenskonzept ist, das uns viel mehr Einblick in den gesamten Ablauf der Tagesaktivität unserer Fische erlaubt als bisher angenommen. Da die Putzerlippfische ihrerseits ja auch bestimmte fundamentale Bedürfnisse haben, wie etwa die täglichen Balz- und Laichaktivitäten, muss der Putzvorgang in den Gesamtrhythmus eingebaut werden. Gelaicht wird bei den Putzern anscheinend (nach eigenen Beobachtungen) in den frühen Abendstunden – vielleicht sind da die Putzkunden öfter anders beschäftigt, etwa miteinander? Das müsste genauer beobachtet werden.

Dieser verhaltensbezogene Einschub verdeutlicht, dass die Putztätigkeit keine vernachlässigbare Nebensache der Aquaristik sein darf. Sie macht vom natürlichen Alltag der Korallenfische einen gewaltigen Anteil aus und erstreckt sich über viele unterschiedliche Fischgattungen, Arten und auch Einzelindividuen. Ein handfestes Beispiel habe ich erarbeitet: Ein mittelgroßer Zebrasoma scopas, der innerhalb eines Putzer-Paarreviers ein relativ kleines Acroporen-Revier innehatte, ließ sich im Verlauf von 78 Minuten 33 Mal putzen bzw. versuchte, durch langsames Vorbeischwimmen die Putzer auf sich aufmerksam zu machen – er färbte sich dann um die Schnauze herum gelblich. Wurde er tatsächlich gründlich geputzt, färbte er sich insgesamt heller. Ein ebenfalls individuell erkennbarer, halbwüchsiger Papageifisch mit ungleich größerem Streifrevier kam in derselben Zeit 42 Mal vorbei, und er kam viermal gründlich an die Reihe. Einzelbeobachtungen an anderen Fischen in dieser Zeitspanne konnte ich nicht dokumentieren, dazu bräuchte man ein elektronisches Zählgerät, dessen Datenerfassungen nach dem Tauchgang ausgewertet werden können. Das tut wohl niemand für solch banale Fragestellungen. Schade!

Böse Putzerfische?
Vor gar nicht allzu langer Zeit war man davon überzeugt, niemals zwei Zebrasoma flavescens (oder zwei Individuen anderer Doktorfischarten) gemeinsam im Aquarium pflegen zu können. Das Aquarium erlaube es den Fischen nicht, sich aus dem Weg zu gehen, war die Argumentation. Noch heute ist das in manchen aquaristischen Sachbüchern zu lesen. Mittlerweile hat man jedoch verstanden, dass sie nicht daran denken, sich aus dem Weg gehen zu wollen, ganz im Gegenteil. Aber hinsichtlich des Putzers und seiner Tätigkeit hat man noch immer jede Menge ähnlich gelagerter Vorurteile: Er peinige seine Beckengenossen, verfolge sie, ja er verletze sie (!), und nebenher ruiniere er alle möglichen Wirbellosen, sogar Muscheln. Oder, von der Putzkunden-Seite her gesehen: Die Fische fürchteten sich vor dem Putzer, sie flüchteten und sprängen in ihrer Not sogar aus dem Becken ... Was soll der Unsinn? Warum sollte sich eine derart hoch ritualisierte, ozeanweit etablierte Verhaltensweise in unseren Aquarien ins Gegenteil verkehren? Wir sollten nun beginnen, diese Gegensätze zu hinterfragen.

Feststellung eins: Putzer sind Lippfische, sie sind also neugierig, überaktiv und verfressen – und sie brauchen mehr als nur Fischparasiten zum Sattwerden! Sie wollen nichts lieber, als zu putzen!

Feststellung zwei: Fast alle gängigen Korallenfische lassen sich liebend gern putzen!
Aus diesen beiden Feststellungen ergibt sich beinahe zwangsläufig die entscheidende Frage: Was läuft derart schief, dass dieses Verhalten in Riffaquarien oft nicht funktioniert?

Zur ersten Feststellung: Putzer sollten niemals so hungrig sein, dass sie ihre Putzkunden drangsalieren, zwicken, anbeißen! Im Riff geht es zumeist um das oberflächliche Reinigen der Schleimhaut; kleine Verletzungen werden gesäubert, Parasiten werden wohl auch berücksichtigt, aber eine kleine Karpfenlaus etwa, die deutlich sichtbar an einem Fisch hängt, interessiert den Putzer gar nicht – eher die Schleimpartikel rund um diesen Schmarotzer! Und große Karpfenläuse kann er sowieso nicht bewältigen. Das angebliche Vorhandensein unzähliger Schmarotzer im Riff, wie dies in der Literatur oft dargestellt wird, ist ein Irrglaube, es ist schlichtweg falsch. Man geht bei solchen (Labor-) Studien sonderbarerweise immer von Aquarienbefunden aus. Fische sind im ungestörten Riff gesund – eben „gesund wie ein Fisch im Wasser“! Aber es gibt immer wieder kleine Flossen- und Hautschäden, die für den Fisch sehr gefährlich werden können, da sie die Funktion seines Haut-Schleimmantels beeinträchtigen, und diese Schäden sind es, die den Putzer beschäftigen. (Ein schneller Einschub, der dazu passt: Einander „lausende“ Affen suchen ebenfalls nicht nach Schmarotzern, sondern nach Hautschuppen.) Und: Putzer sollten stets zu zweit arbeiten. Im Riff gibt es kaum jemals Einzelputzer.

Aquarienfische wollen geputzt werden!
Zur zweiten Feststellung: Warum wollen unsere Aquarienfische nicht geputzt werden? Sie wollen, sapperlot! Und wie gern! Aber sie müssen eine gesunde Haut, eine vollständige Schleimschicht und ausgeglichenes Verhalten aufweisen. Satt sollten sie auch sein, und wenigstens zu mehreren – mit nur einem kleinen Doktor oder Zwergkaiser und einigen bodenlebenden Grundeln hat ein Putzer keine große Freude. Ich muss da wieder einmal ein Beispiel aus einem meiner gut bestückten Riffbecken (mit vielen Gorgonien, Scheibenanemonen, Sarcophyton, Stoloniferen, Seeanemonen, wenigen Steinkorallen, zwei Riesenmuscheln und einer großen „Blauen Koralle“, Heliopora coerulea) anbieten und meine Putzkunden vorstellen: Ein Halfterfisch (Zanclus cornutus), ein Doktorfisch (Acanthurus sp.), zwei Fahnenbarsche (Pseudanthias sp.), zwei Zwergkaiser (Centropyge sp.), eine Torpedogrundel (Ptereleotris sp.), zwei Clowns (Amphiprion sp.), ein Feilenfisch (Acreichthys sp.), zwei Krabbenaugengrundeln (Signigobius sp.), vier Riffbarsche (Paraglyphidodon sp.), zwei Wetmorella-Exemplare und ein Leoparden-Krugfisch (Canthigaster sp.). Da werkeln zwei Putzerlippfische Labroides dimidiatus, und sie putzen, abgesehen von den offenbar uninteressanten Bodengrundeln und den putzunwilligen Clowns, alles querdurch! Aquarienvolumen 600 l.

Oder: In einem ähnlichen 700-l-Becken haben zwei Putzer vier Doktoren, drei Zwergkaiser, zwei Büschelbarsche, zwei Korallengrundeln sowie einen Riffbarsch zu pflegen (und, Verzeihung: einen Leopardendrücker; er kommt in ein Großaquarium, sobald die Beobachtung der Entwicklung seiner Fleckenzeichnung abgeschlossen ist), und sie tun dies zur allgemeinen Befriedigung. Ich könnte noch etliche derartige Beispiele anführen. Die Szenerie verläuft wie im Riff: Die Putzer schauen sich ihre Fische interessiert und viele Male am Tag an, putzunwillige Kunden schütteln sich oder reagieren überhaupt nicht, oder sie mögen es und bleiben dann kurz stehen.

Dass klein gepunktete Fische für Putzer anziehend sind, steht außer Zweifel. Mein Leoparden-Krugfisch hat ab und zu Schwierigkeiten und zieht sich dann kurz zurück, oder er schüttelt sich unmissverständlich und zeigt kurz seinen Bauchkiel, aber das war’s! Niemand flüchtet, keiner springt. Wirklich „nötig“ – zumindest aus meiner Sicht – hätte den Putzvorgang kein einziger Fisch; alle sind glatt, glänzend und meist zufrieden. Und genau das zeigt, wie wichtig es ist, den Irrtum zu korrigieren, dass sich Putzer bei der Bekämpfung von parasitär bedingten Hautkrankheiten wie Oodinium oder Cryptokarion positiv auswirken, sie sogar heilen. Das tun sie nicht.

Zur Frage „Was läuft derart schief, dass es in Riffaquarien oft nicht funktioniert?“ hier eine Zusammenfassung der möglichen Gründe, die den Putzbetrieb im Riffaquarium vereiteln können:


  • - Die Putzer sind extrem hungrig
  • - Das Aquarium ist für sie uninteressant, bietet zu wenig Abwechslung und Herausforderung
  • - Es sind nicht genügend „putzbare“ Fische vorhanden (aber wenn ich mir all die eindrucksvollen KORALLE-Beiträge, in denen Riffaquarien vorgestellt werden, gründlich ansehe, dann zähle ich überall mehr als genug „putzbare“ Fische!) 
  • - Das Aquarienmilieu ist für die normale Entwicklung der Fisch-Schleimhaut ungeeignet, zu „steril“ oder zu sehr mit Substanzen belastet, die Korallen abgeben (Sekrete, Nesselgifte). Die Fische reagieren auf die Putzer ängstlich, denn der Putzvorgang bereitet ihnen Schmerzen

Wir nehmen doch einiges auf uns, um naturgetreue Symbiosen im Aquarium nachzustellen, sie dauerhaft zu erhalten, etwa die Wirtsanemonen/Clownfisch-Symbiose oder die Partnergrundel/Knallkrebs-Symbiose. Warum also nicht auch die Lippfisch-Putzsymbiose?

Literatur:

Krause, I. (2012): Lippfische – aquariengeeignete Gattungen. – KORALLE 78, 13 (6): 26–34.
Thaler, E. (2008): Doktorfische im Meerwasseraquarium. – Natur und Tier - Verlag, Münster.