Das Meerwasseraquaristik-Fachmagazin KORALLE bietet jedem Meerwasseraquarianer eine Fülle interessanter, fundierter und modern gestalteter Beiträge. Es werden die unterschiedlichsten Aspekte behandelt: Aquarienpraxis, Haltung und Vermehrung einzelner Arten, biologische Hintergrundberichte, Aquarientechnik und -chemie, Neues aus der Wirtschaft, Buchmarkt, Reportagen und Reiseberichte, Interviews und vieles mehr; alles leicht verständlich, allgemein interessant und unterhaltsam. Die Zeitschrift erscheint zweimonatlich.

3-2a_zuechterecke64Eigentlich entspreche ich dem Züchtertyp gar nicht. Abgesehen von einigen Pterapogon-kauderni-Babys, die der Zufall in meine Aquarien spülte, und die ich natürlich aufziehen musste, konnte ich dem „Züchtervirus“ eigentlich stets die Abwehrkraft eines vitalen Immunsystems entgegenstellen, das sich aus der gesunden Trägheit eines beruflich vielbeschäftigten Menschen speist. Von Ausnahmefällen abgesehen...



„Werden die wirklich nicht größer?“, fragten die Nachbarstöchter, als sie die 20 mm langen Florida-Zwergseepferdchen in dem Nano-Aquarium sahen. „Sind die wirklich schon erwachsen?“ Ich nickte nur, in vollem Vertrauen darauf, dass ein Blick der Mädchen auf den Einhängekasten mit den noch viel winzigeren Zwergseepferdchenbabys alles erklären würde. Er tat es. Und wie! Das Entzücken war unbeschreiblich, denn die nur rund 10 mm langen Neugeborenen propellerten mit geradezu überschwänglichem Selbstbewusstsein (zumindest wirkt dies auf uns Menschen so) zwischen den grasgrünen Chaetomorpha-Fäden umher und suchten nach einem Ankerplatz für ihren Greifschwanz, von dem aus sie auf vorbeitreibende Artemianauplien warten konnten. Seit Stunden erst waren sie auf der Welt, und schon verhielten sie sich völlig selbstständig, fanden sich in ihrer Umgebung zurecht, als wäre ihnen das alles seit Jahren vertraut. Kein (erkennbares) Zeichen von Unsicherheit, Angst oder Vorsicht. Seit zwei Paare dieser Tierchen durch Zufall den Weg in meine Kleinaquarien gefunden hatten, war ich von ihnen regelrecht gefesselt. Wann immer ich im Arbeits-Kellergeschoss meines Wohnhauses vom Büro aus an dem kleinen Raum mit Testaquarien vorbei ins gegenüberliegende Labor gehe oder den gleichen Weg zurück, knie ich vor dem 10-l-Becken mit den inzwischen mehr als 30 Seepferdchenzwergen aller Entwicklungsstadien, um sie dabei zu beobachten, wie sie immer das Gleiche tun: sich mit ihrem winzigen Greifschwanz an den Chaetomorpha-Algenfäden festhalten und nach Artemianauplien Ausschau halten. Was daran nun so faszinieren kann, weiß ich selbst nicht ganz genau.

Eigentlich entspreche ich gar nicht dem Typus des Züchters, den Lars KLÄNING in dieser Rubrik beschrieben hat (2010). Sicher, ich habe in Asien viele Korallenfarmprojekte durchgeführt – aber das Fragmentieren von Korallen ist etwas ganz anderes, als wenn man mit größtem Einsatz Jungtiere aufzieht, denen man in die Augen schauen kann. Die vegetative Vermehrung von Korallen ist eher eine Art handwerkliche Tätigkeit, eine mit einigermaßen kalkulierbarem Ergebnis, fast als würde man in der Werkstatt aus Acrylglas Abschäumer fabrizieren. Aber wer sich an der Nachzucht von Korallenfischen versucht hat, der weiß, das einzig Kalkulierbare daran ist, dass das Ergebnis wirklich völlig unkalkulierbar ist.

3-2b_zuechterecke64Wie gesagt, eigentlich entspreche ich dem Züchtertyp gar nicht. Abgesehen von einigen Pterapogon-kauderni-Babys, die der Zufall in meine Aquarien (und vor meine Kameras) spülte und die ich natürlich aufziehen musste, konnte ich dem „Züchtervirus“ eigentlich stets die Abwehrkraft eines vitalen Immunsystems entgegenstellen, das sich aus der gesunden Trägheit eines beruflich vielbeschäftigten Menschen speist. Von Ausnahmefällen abgesehen. Etwa dem Spatzen „Fridolin“, der mir aus dem Dachrinnen-Vogelnest buchstäblich vor die Füße gefallen war. Nach mühseliger, wochenlanger „Rund-um-die Uhr-Fütterung“ hatte er dann schließlich auf meinem Schreibtisch das Fliegen erlernt und sich tagsüber zum Schlafen als Ersatz-Vogelnest das Mousepad mit meiner Computermaus geteilt. Nachts schlief er in seinem „richtigen“ Vogelnest, einer Kaffeetasse. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Plan war ursprünglich nur gewesen, für KORALLE 60 mit dem Titelthema „Zwergseepferdchen“
einen Beitrag über Hippocampus zosterae zu schreiben. Meine Hoffnung war, dass man dadurch diese Seepferdchenart, die nach rund zwei Jahrzehnten mit wenigen Exemplaren endlich einmal wieder von Florida aus nach Europa gelangt war, im Aquaristikhobby fest etablieren könnte – und dazu muss man bei möglichst vielen Aquarianern Interesse wecken. Also kontaktierte KORALLE-Redakteurin Inken Krause die Aquarianerin Elena Theys, von der wir beide wussten, dass sie diese Art züchtet. Parallel dazu – und das war ein echter Zufall – kontaktierte mich zeitgleich der Unterwasserfilmer Sigurd Tesche und bat mich, für Fernsehaufnahmen u. a. genau diese Zwergseepferdchenart zu besorgen. Über Dr. Patrick Schubert, der sie ebenfalls züchtete, gelangte ich an besagte zwei Hippocampus-zosterae-Paare, und von meinem Freund Dr. Jochen Lohner erhielt ich Artemiazysten im Überfluss. Das ist der erste Teil der Geschichte.

Der zweite Teil begann eines Morgens, als ich im Nanobecken unverhofft ein rund 10 mm langes, kreideweißes Zwergseepferdchenbaby fand. Es wurde natürlich – wie könnte es auch anders sein – auf den Namen „Fridolin“ getauft. Und irgendwann hatte Fridolin dann selbst Kinder, und inzwischen sind auch die glückliche Eltern. Und ich bin Zwergseepferdchen-Züchter. So einfach ist das.

Apropos „einfach“: Wenn man ein paar Grundsätze beherzigt, ist es wirklich ganz leicht, Florida-Zwergseepferdchen zu pflegen und zu vermehren. Zunächst: Die Tierchen fressen wirklich nur Lebendes. Am einfachsten ist es mit frisch geschlüpften Artemianauplien, und zwar den allerbesten, die man bekommen kann: Qualitätsstufe „Platinum“. Die brauchen sie einmal am Tag, nämlich morgens nach dem Einschalten des Lichtes, möglichst im Schlupfwasser mit einer fein verriebenen Prise „Selco“ erbrütet. Die Aquarienumgebung der Seepferdchen – der Adulten und der Jungtiere – muss geradezu hygienisch sauber sein, also frei von allem, was das Becken auch nur ansatzweise natürlich wirken lassen könnte. Der Grund dafür sind „Trojaner“, die sich bei der Artemiaverfütterung rasend schnell breitmachen und die Tierchen mit Nesselgiften schwer schädigen – und nur eine glatte Acryl- oder Glasfläche kann man leicht und gründlich sauber halten. Die Babys müssen von den Erwachsenen getrennt aufgezogen werden, weil sie sonst versehentlich „erwürgt“ werden können. Wer dann noch auf Temperatur und Salzgehalt achtet und „normale“ Wasserqualität sichern kann, der sollte eigentlich gut zurechtkommen. So mache ich es zumindest, und bisher lief mit der Nachzucht alles völlig problemlos. Aber wenn Sie mich einmal persönlich treffen, ist nicht wirklich sinnvoll, mich zu fragen: „Warum züchten Sie eigentlich?“ Ich weiß es nämlich selbst nicht.

Daniel Knop

Artikel KORALLE 64: 62–63